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SYRIEN – Erinnerungen an ein Land vor dem Krieg.

Interview mit Lutz Jäkel

Seit über 8 Jahren herrscht in diesem Land im Nahen Osten Krieg und Zerstörung. Doch es gab auch eine Zeit vor dieser Zeit. Eine Zeit, in der man lachte und einkaufte, arbeitete und aß, betete, rauchte, diskutierte und feierte. Der Reportage-Fotograf Lutz Jäkel ist mit seiner Live-Reportage über Syrien bei GRENZGANG zu Gast. Im Interview haben wir ihn gefragt, was uns bei seiner Live-Reportage erwarten wird.

Interview: Daniela Kagerbauer | Fotos: Lutz Jäkel
Quelle: Traum & Abenteuer

Syriens Reichtum liegt in seiner Geschichte, seiner Kultur und seinen Menschen. Stets verband das Land Orient und Okzident; zahlreiche Völker und Religionen haben ihre Spuren hinterlassen. Mitreißend dokumentiert Lutz Jäkel den Alltag, bevor 2011 die Aufstände gegen das Regime beginnt und ein grausamer Krieg folgt.

Deine Live-Reportage handelt nicht von dem Syrien wie es heute jeder kennt, vielmehr ist es eine Reportage über das Syrien vor dem Krieg.

Das stimmt. Ich bin über einen Zeitraum von fast zwanzig Jahren regelmäßig nach Syrien gereist, ich habe eine Zeitlang in Damaskus gelebt. Zuletzt war ich im Frühjahr 2011 dort, also kurz vor Beginn der ersten Demonstrationen und dem sich anschließenden Krieg. Daher kenne ich die besondere Vielfalt des Landes ganz gut, den, wie ich es immer gerne formuliere, kulturellen und vor allem menschlichen Reichtum Syriens. Dieses Bild hat bei uns fast niemand vor Augen, es ist nahezu unbekannt. Unsere Vorstellung von Syrien ist geprägt durch die fürchterlichen Bilder, die uns in den letzten Jahren durch den Krieg erreichen.

Gibt es für dich ein besonders schönes Erlebnis in Syrien?

Ich kann sagen, dass ich beruflich als Fotoreporter und Autor viel von der Welt sehen darf. Aber nichts hat mich mehr beeindruckt und damit nachhaltiger geprägt als die Begegnungen mit den Menschen in Syrien. Sie begegnen einem in aller Regel mit Neugier und Offenheit, zeigen oft eine sehr selbstlose Gastfreundschaft. Daher fällt es mir schwer, ein besonders schönes Erlebnis in Syrien zu beschreiben. Es gibt einige. Von solchen Begegnungen erzähle ich in meiner Live-Reportage.

Du zeigst den Alltag vor 2011, wie man in Syrien lacht und einkauft, arbeitet und isst, betet, raucht, diskutiert und feiert. Wie hast du es geschafft, so tiefe Einblicke zu gewinnen?

Es war sicher von Vorteil, dass ich mich im Rahmen meines Studiums der Islamwissenschaften intensiv mit der Kultur und Geschichte Syriens beschäftigt habe. Ich habe syrisches Arabisch gelernt, auch wenn es leider inzwischen eingerostet ist. Viele Reisen, das Leben in Damaskus, ein bisschen die Sprache, gepaart mit der Offenheit vieler Syrer und selbst offen und neugierig sein, das öffnet viele Türen und Herzen. Hinzu kommt, dass ich vor rund zehn Jahren für ein Buchprojekt über Syrien zwei größere Reisen unternommen habe. Das hat natürlich noch mal einen ganz besonderen Blick ermöglicht.

Wieviel hat das in Deutschland vorherrschende Bild von Syrien mit der Realität zu tun?

Ich fürchte: sehr wenig. Wir erleben derzeit eine emotional sehr aufgeladene Diskussion beim Thema Geflüchtete. Da wird wenig bis gar nicht differenziert, da sind alle Geflüchtete – vor allem dann, wenn sie aus islamischen Ländern kommen – im besten Fall alle gleich und im schlimmsten Fall eine Gefahr. Wenn ich versuche, von eben jenen besonderen Begegnungen in Syrien zu berichten und den Fokus darauf zu legen, doch mehr auf das zu schauen, was uns verbindet, als auf das, was uns trennt – weil man eben überrascht feststellte, dass das Verbindende sehr viel mehr ist – dann glauben manche, ich erzählte von einem anderen Stern. Oder ich sei hochgradig naiv. Dabei erzähle ich nur von Selbsterlebtem. Andererseits erlebe ich aber auch, vor allem auch bei meiner Live-Reportage, wie groß das zivilgesellschaftliche Engagement für Geflüchtete ist. Oft kommen als Zuschauer deutsche Familien mit „ihren“ Syrern, um die sich kümmern, damit sie endlich mal das Land kennenlernen, von denen „ihre“ Syrer in aller Regel immer so begeistert erzählen. Hinterher komme ich mit diesen Menschen ins Gespräch, und auch das sind wunderbare Begegnungen, weil sie Hoffnung machen. Und bei dem einen oder anderen Syrer fließt auch mal ein Tränchen, wenn er auf der Leinwand sein Syrien sieht.

Du hast sicherlich viele syrische Freunde. Wie geht es ihnen? Was machen und denken sie?

Ich habe einige Freunde, ja. Einem sehr guten Freund und seiner Familie konnten Freunde von mir und ich zur Flucht nach Deutschland verhelfen. Mit anderen bin ich in Kontakt, über E-Mails oder auch über Facebook. Wie es ihnen geht? Tja. Wie soll man diese Frage beantworten, wenn es um Menschen geht, die in einem Land leben, in dem es seit über sieben Jahren Krieg gibt? Wenn sie leben, geht es ihnen schon gut.

Welche unbekannten Einblicke und wichtigen Erkenntnisse erwarten die Zuschauer während deines Vortrages?

Zunächst sehen sie ein Syrien, wie es die allermeisten Zuschauer nicht kennen werden. Wir sehen ja fast nur noch Bilder des Krieges in den Medien. In meiner Live-Reportage kommen auch in kurzen Videos Syrer, Deutsch-Syrer und Deutsche, die in Syrien gelebt haben, zu Wort. So entsteht ein breites Bild Syriens, so setzen wir den Bildern des Krieges etwas entgegen, um den Reichtum des Landes und vor allem die Menschen nicht vergessen zu lassen. Und als wichtigste Erkenntnis werden die Zuschauer mitnehmen, so hoffe ich jedenfalls, dass es zu unterscheiden gilt zwischen den Menschen und dem vielfältigen Leben in Syrien – und dem politischen, also diktatorischen System, von dem auch unser Bild des Landes geprägt ist.

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