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Rund um GRENZGANG

„Warum Reisen richtig wichtig ist“

Interview mit GRENZGANG-Gründer Hardy Fiebig

Seit 20 Jahren kann das Publikum mit dem Kölner Kulturveranstalter GRENZGANG die bekanntesten Globetrotter*innen in verschiedenen Städten NRWs bei weltweiten Abenteuern hautnah begleiten – dank mitreißender Live-Reportagen auf Großleinwand und Livestreams am Bildschirm zuhause. Hardy Fiebig – Moderator, Reisefotograf, Storyteller und GRENZGANG-Gründer – erzählt in diesem Interview u.a., wie es vor 20 Jahren zur Geburt von GRENZGANG kam – und warum Reisen für die Rettung der Welt richtig wichtig ist.

Frage: Hallo Hardy, wie schön, dass du Zeit für unser Gespräch gefunden hast! Zunächst: Gratulation! Ihr feiert 20 Jahre GRENZGANG. Wenn du auf diese lange Zeit zurückblickst: Was hat sich seit eurer Gründung verändert?

HF: Danke für die Glückwünsche! Ganz ehrlich: 20 Jahre – das hätten wir damals kaum zu hoffen gewagt! Zum Thema Wandel will ich mal so sagen: Die krassen technischen Entwicklungen der letzten zwei Dekaden in unserem Metier waren eine wahre Weltreise, vom analogen gings mit irrem Tempo ins digitale Universum! Als wir anfingen, haben wir noch mit Diaprojektoren gearbeitet, ganz old school, also. Mit heutigen Hochleistungsbeamern können wir dank gewaltiger Helligkeit und Auflösung die live erzählten Abenteuer unserer weltreisenden Bühnengäste auf riesige Kinoleinwände werfen.
Die Digitalisierung ermöglicht den Protagonist*innen aber auch, unterwegs auf ihren Reisen in aller Welt sowohl Natur wie Menschenbegegnungen und Abenteuer in unfassbarer Qualität hautnah einzufangen – mit Hilfe kleiner, robuster Actionkameras, Drohnen und anderer Innovationen. Die live präsentierten Reisereportagen enthalten immer mehr Filmsequenzen und werden dank aufwändiger Nachbearbeitung so professionell und mitreißend präsentiert, wie nie zuvor. Von solchen Möglichkeiten habe ich bei meiner Radtour durch Afrika Anfang der 1990er Jahre nur geträumt!
An der jüngsten Entwicklung waren wir selbst maßgeblich beteiligt: Vor zweieinhalb Jahren haben wir ein eigenes Studio aufgebaut und waren der erste Vortragsveranstalter überhaupt, der es den Zuschauern ermöglicht hat, von ihrem Zuhause aus aller Welt per Livestream unsere Reise-Reportagen online zu schauen. Allerdings: Das Kribbeln, bei einem Live-Event mit hunderten anderen Menschen gemeinsam etwas Besonderes zu erleben, lässt sich natürlich nicht einfach so übertragen …

Frage: Und was ist unverändert geblieben?

HF: Es war, ist und bleibt eine ständige Herausforderung, als Kulturveranstalter nachhaltig zu wirtschaften. Dieser Tage, wo das Publikum zögert auszugehen, allerdings mehr denn je. Der andere Punkt ist erfreulicher: Ich finde es wirklich bemerkenswert, dass der Gedanke, der uns schon vor zwei Dekaden bei der Gründung von GRENZGANG angetrieben hat, aktueller ist, als je zuvor. Nämlich: Mit dem Kopf unterwegs zu sein!

Frage: Gutes Stichwort! Was bedeutet das eigentlich für dich, bzw. für die GRENZGÄNGER*INNEN: „Mit dem Kopf unterwegs“ zu sein…?

HF: Uns hat von Anfang an die Doppeldeutigkeit dieses Slogans gefallen: Einerseits mit dem Kopf – also: in Gedanken – eine Leinwandreise mitzumachen. Da unsere „Held*innen“ sowohl Medienprofis und Vollblut-Geschichtenerzähler*innen, als auch interessante Persönlichkeiten mit einem riesigen Erfahrungshorizont sind, geben sie dem Publikum bei den Live-Events tatsächlich das Gefühl, mit ihnen im Dschungel, durch die Wüste, über den Ozean oder auf den höchsten Gipfel unterwegs zu sein. Die Live-Reisereportage ist da viel persönlicher und direkter als andere Medien!

Frage: Was hat es mit der zweiten Bedeutung auf sich?

HF: Mit dem Kopf unterwegs zu sein, hat für uns aber immer auch bedeutet, achtsam zu reisen und die eigene Weltoffenheit zu pflegen. Hintergrund dazu: Ich bin in drei Kulturkreisen zuhause, in Mitteleuropa genauso wie in Arabien und Ostafrika. Die gegenseitigen Missverständnisse auszuräumen und Ignoranz auf allen Seiten zu bekämpfen, war und ist mir ein besonderes Anliegen. Im Angesicht multipler globaler Krisen hat dieses Thema in den letzten Jahren eine ganz neue Bedeutung bekommen.

Frage: Inwiefern?

HF: Ob wir wollen oder nicht, die Menschheit teilt sich ein einziges Raumschiff und muss dieses gemeinsam durch die gegenwärtigen Krisen steuern, wenn sie überleben will! Wann wird das endlich in unserem Bewusstsein einschlagen? Zunächst hat man ja geglaubt, dass die Welt durch die Digitalisierung automatisch kleiner wird und zusammenrückt.
Inzwischen scheint das Gegenteil zu passieren: Das Trennende, die Zersplitterung, der Hass und die Desinformation nehmen immer mehr überhand, und Gesellschaften und Staaten driften mehr und mehr in Richtung Abschottung und Nationalismus, anstatt auf Kooperation zu setzen, um uns den blauen Planeten zu retten. Für eine wirkungsvolle Zusammenarbeit braucht es aber Augenhöhe, gegenseitiges Verständnis, Mitgefühl, Sympathien und persönliche Freundschaften zwischen Menschen unterschiedlicher Länder und Kulturen.

Frage: Und das liefern eure GRENZGÄNGE?

HF: Zumindest leben viele der GRENZGÄNGER*INNEN, die bei uns auf der Bühne stehen, durch ihre Reisen und Freundschaften mit Menschen in aller Welt – und die Berichte darüber – interkulturelle Verständigung! Sie haben das Privileg, mit viel Zeit unterwegs zu sein, haben berührende Begegnungen und einen persönlichen, viel positiveren Blickwinkel als z.B. Nachrichtenformate. Anstatt sich auf negative Betrachtungen zu beschränken, haben viele von ihnen ein konkretes Anliegen und engagieren sich häufig in bewundernswerter Weise. Das macht Mut und ist ansteckend. Aber ich denke, dass wir noch in eine ganz andere Richtung Wirkung entfalten …

Frage: Worauf spielst du an?

HF: Ich möchte unsere Bedeutung nicht überbewerten, aber mit seinen Veranstaltungen und Medienkanälen hat GRENZGANG im Verlauf der vergangenen 20 Jahre Zehntausende von Menschen berührt. Du fragst, was das damit zu tun hat? Ganz simpel: Menschen werden nur schützen, was sie kennen, was ihnen einen Nutzen bringt – und vor allem: was sie lieben!
Unsere Referent*innen und das GRENZGANG-Team sind hoffnungslos in die Erde und ihre kulturellen und natürlichen Wunder verknallt! Wir versuchen mit unseren Events, so viele andere wie möglich in dieser Liebe zu bestärken bzw. mit dieser Liebe anzustecken. So gesehen sollte unser Sinnspruch vielleicht eher lauten: „Mit dem Herz unterwegs“!

Frage: Schön und gut! Allerdings: Was habt ihr ganz konkret erreicht?

HF: Jau, das ist ein echt kritischer Punkt. Letztlich müssen wir uns daran messen lassen, was wir im Alltag für eine bessere Welt tun. Zum einen versuchen wir, unseren Betrieb so nachhaltig wie möglich aufzustellen und immer wieder nach neuen Optimierungen zu suchen und in vielen kleinen Schritten umzusetzen – weniger Papier zu verbrauchen, unser Programmheft klimaneutral und ökologisch zu drucken – solche Dinge halt. Andererseits nutzen wir unsere Reichweite, um andere nach besten Kräften zu unterstützen, die sich um Nachhaltigkeit bemühen – ob mit ökologischen, sozialen oder interkulturellen Projekten. So haben wir im letzten halben Jahr beispielsweise 15.000 Euro für die Ukraine-Hilfe sammeln und spenden können. Für uns ist es dabei immer wieder berührend, wie viel Goodwill und Engagement unser Publikum besitzt. Das ist dermaßen ermutigend, wirklich!

Frage: Aber all das ändert ja nichts daran, dass das Reisen negative Auswirkungen hat, ökologisch und oft auch sozial oder kulturell. Wie gehst du als Vielreisender mit diesem Widerspruch um?

HF: Meiner Meinung gibt es da keine simple Wahrheit. Tatsächlich müssen wir so aufrichtig sein und anerkennen, dass unser Leben immer Auswirkungen hat, positive wie negative. Aber diese Aufrichtigkeit heißt ja auch, dass wir die Macht erkennen, die wir haben: Wir können einen Unterschied machen, oder? Ich finde es zu einfach, zu postulieren: Wir können ja nicht 100% nachhaltig existieren, also ist es doch eh egal, was wir tun. Das ist ein zynisches Totschlag-Argument!
Zum Thema Reisen in diesem Zusammenhang: Ja, inzwischen wäge ich vor jeder Reise sehr genau ab: Wie und wofür reise ich? Ich verreise lieber seltener und dafür länger, um unnötigen CO²-Ausstoß zu vermeiden. Überspitzt gesagt: Ein Wochenend-Shopping-Flugtrip nach London kommt für mich einfach nicht in Frage. Allerdings werde ich weiterhin ein bis zwei Mal pro Jahr nach Kenia fliegen, um mich vor Ort in dem Projekt zum Kulturerhalt und Naturschutz einbringen zu können, dass ich vor 11 Jahren mit kenianischen Freunden initiiert habe. Solange zumindest, bis es mir gelungen ist, mich da überflüssig zu machen bzw. wir alles über Videokonferenzen managen können.
Es macht gewiss auch einen Unterschied, ob ich um die halbe Welt fliege, um mich in fernen Gestaden in einem All-Inclusive Club eines internationalen Konzerns an den Strand zu legen oder ob ich eine Reise bei einem nachhaltigen Reiseveranstalter buche und damit lokale Naturschutzprojekte am Leben erhalte und gut bezahlte Jobs ermögliche.
Bitte nicht falsch verstehen: Ich gönne jedem seinen Erholungsurlaub und sehe, wie wichtig es ist, sich zu regenerieren, um gesund und positiv zu bleiben, sonst ist auch niemandem geholfen. Aber: Reicht da dann nicht auch öfter mal der Aufenthalt an der Nordsee oder die Wanderung durch die Eifel, mit Anreise per Zug, versteht sich? Lass es mich so zusammenfassen: Wir alle sollten immer mehr mit Köpfchen unterwegs sein, meine ich. Mehr terranes Reisen und Slow Travel – das ermöglicht meiner Erfahrung nach übrigens auch viele spannende neue Erlebnisse und Begegnungen.
Und natürlich öfter mal eine Leinwand-Reise bei GRENZGANG machen – klimafreundlicher kann man, glaube ich nicht unterwegs sein, zwinker-zwinker …

Frage: Zum 20-Jährigen bietet ihr ein buntes Programm – was sind deine persönlichen Highlights?

HF: Eieiei, keine einfache Frage – natürlich wollten wir zum Jubiläum ein sehenswertes Feuerwerk abbrennen. Zum Thema intensive Naturerlebnisse halte ich einerseits „Unter Bären“ mit David Bittner und „Clan der Delfine“ mit Ulf Marquardt für besonders erwähnenswert. Der eine hat zwanzig Sommer mit Bären auf Berührungsnähe in Alaska verbracht, der andere ist mit Delfinen im Roten Meer abgetaucht und hat ihren Alltag dokumentiert – sensationell!
Vom interkulturellen Aspekt herausragend ist die Live-Reportage über den Iran von Thorge Berger und Mehran Khadem-Awal. Der deutsche und der iranische Fotograf sind gemeinsam durch das Land gereist, das öffnet natürlich besondere Blickwinkel. Zum Thema „eigenen Grenzen testen“ fällt mir als Erstes eine junge Frau ein: Lotta Lubkoll ist mit ihrem Esel über die Alpen gewandert. Aber auch die Story der Seenomaden ist wirklich beeindruckend – sie sind durch die Nordwestpassage im arktischen Ozean gesegelt, das hat sie an ihre persönlichen Grenzen gebracht, obwohl sie zuvor schon zwei Mal die Welt umrundet haben. Aber eigentlich ist es unfair, irgendjemand besonders hervorzuheben – da sind noch so viele andere tolle Themen …!

Frage: Na, dann freuen wir uns auf die neue Grenzgang-Spielzeit. Danke für das Gespräch!

HF: Sehr gern!

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